
Antarktis 2015
Tag 8 (11.12.2015) - Fortuna Bay - Stromness - Grytviken/Südgeorgien
Sonnenaufgang: 03:49 Uhr | Sonnenuntergang: 20:52 Uhr
Temperatur: Luft 3°C | Wasser 1°C | Wind Beaufort: WNW 5-6 | Seemeilen: 1449 nm
Südgeorgien, die Zweite!
Fortuna Bay – und ich bin glücklich in dieser Bucht!





Unser 2. Tag in Südgeorgien beginnt um 6:00 Uhr mit einer Ausbootung in der Fortuna Bay. Wir gehören zur 2. Ausbootungs-Gruppe und sind froh, dass es einigen Passagieren aus der 1. Gruppe zu früh ist: für mich kaum vorstellbar, aber somit sind wir ein kleines bisschen früher an der Reihe! Das Ziel unseres Landgangs ist eine grosse Königspinguin-Kolonie in der Mitte der Bucht. Der Weg dorthin wurde zu unserem Schutz durch unsere Experten grob abgesteckt und markiert. Vorsichtig bahnen wir uns einen Weg zwischen zahlreichen Seebären hindurch: die Bullen reagieren zum Teil recht angriffslustig, wenn man ihrem Territorium (und den Damen ihres Harems) zu nahe kommt und Vorsicht ist geboten! Die älteren (geschlechtsreifen) See-Elefanten-Bullen (die mit den «Rüsseln») sind hier noch nicht anzutreffen, nur die Weibchen und Jungbullen halten sich hier an Land auf: im Gegensatz zu den Seebären interessieren sie sich allerdings nicht wirklich für uns. Viele schnarchen laut vor sich hin, andere wirken oft gähnend sehr träge, doch wehe, wenn diese vermeintlichen «Fleischberge» in Fahrt kommen! Einige Jungbullen liefern sich Machtkämpfe, klatschen mit ihren Körpern gegeneinander, und Brüllen dabei, dass man Angst bekommen kann!








Mit uns spazieren auch einige Königspinguine «singend» Richtung schnatternder Kolonie: ein Elternteil kehrt zur Kolonie und zu seinem Jungtier zurück und ruft es mit seinem unverkennbaren «Gesang» zu sich, um es zu füttern.






Königspinguine haben mit mehr als 14 Monaten einen sehr langen Brutzyklus. Daher haben wir Glück und treffen Pinguine in den verschiedenen Entwicklungsstadien in der Kolonie an: der Nachwuchs vom letzten Jahr – Jugendliche, braune, tollpatschige, Teddybär-ähnliche Flauschkugeln (sie haben eine gewisse Ähnlichkeit mit Kaffeewärmern), schon genauso groß wie die erwachsenen Königspinguine, aber eben noch mit Babyflaum versehen & sehr süß! – aber auch ältere Jungtiere, die sich in der Mauser befinden und ein lustiges Federkleid tragen… und natürlich die vielen ausgewachsenen wunderschönen stolzen Tiere!





Am liebsten würde man sie knuddeln, aber anfassen ist natürlich verboten: wir halten den respektvollen (vorgegebenen) Abstand von 5 Metern, viele der kleinen sehr neugierigen Frackträger halten sich allerdings oft nicht an diese Regel! Andere sind eher cool: wahrscheinlich begegnen sie gerade nicht dem ersten touristischen Gummistiefel auf Augenhöhe!



Einmal mehr erleben wir, was es heisst, wenn man von wechselhaftem Wetter in der Antarktis spricht: innerhalb weniger Minuten wechselt sich strahlender Sonnenschein, in dem wir die malerische Gebirgslandschaft der Fortuna Bay bestaunen, mit dichtem Schneetreiben, in dem man kaum die Hand vor Augen erkennen kann, ab.
Ich bin nicht nur vom wechselhaften Wetter «geflasht»: das Aufeinandertreffen der antarktischen Tiere, in ihrem natürlichen Lebensraum, in dieser besonderen Stimmung, hat mich einfach nur demütig werden lassen! Eine unbeschreibliche Faszination erfüllt mich!
Ich bin nicht nur vom wechselhaften Wetter «geflasht»: das Aufeinandertreffen der antarktischen Tiere, wie Königspinguine, Robben, Seebären und See-Elefanten in ihrem natürlichen Lebensraum am frühen Morgen, in dieser grossen Anzahl und Menge, in dieser besonderen Stimmung – und auch am Tag zuvor schon – hat mich einfach nur demütig werden lassen! Welches Privileg es doch ist, die Würde ausstrahlenden Königspinguine mit ihren orangefarbenen Schnäbeln und ihrem gelbem Gefieder an Kopf und Hals in ihrer Kolonie mit so vielen Jungtieren zu sehen. Sie sind einfach wunderschön! Die Robben und See-Elefanten in ihren Yoga-Positionen zu sehen und dabei schnauben zu hören, oder auch die Kraft und Schnelligkeit beim Kampf von streitenden Seebären zu erleben – eine unbeschreibliche Faszination erfüllt mich!

Gegen 9:30 Uhr sind alle zurück an Bord. Wir wollten uns der Wandergruppe anschliessen, absetzen lassen und dann den letzten Abschnitt des legendären «Shackleton Walks» zur Walverarbeitungsstation Stromness wandern, allerdings spielt das Wetter auch hier nicht mit und die schnell wechselnden Wetterverhältnisse machen ein Absetzen der Wandergruppe nicht möglich. Wir fahren also mit dem Schiff nach Stromness und besuchen die alte Walfang-Station nicht auf Shackletons Spuren über den Landweg, sondern vom Wasser aus.




Stromness
Stromness, als Walfangbasis von 1913 bis 1931 betrieben, liegt in der Stromness Bay zwischen den Walverarbeitungsstationen Husvik und Leith.




1916 fand der Polarforscher Sir Ernest Shackleton für sich und seine schiffbrüchigen Kameraden, die auf Elephant Island auf ihre Rettung warteten, hier schliesslich Hilfe: in seinem 7.5 Meter langen offenen Beiboot schaffte Shackleton es in unglaublichen 17 Tagen 1300km über die Scotiasee (damals ganz ohne atmungsaktive und wasserabweisende Kleidung!) und landete, mit fünf weiteren Männern seiner Besatzung, in der King Haakon Bay an der unbewohnten Küste Südgeorgiens. Vor ihnen lag eine schneebedeckte, vereiste rund 2700m hohe Gebirgskette, die noch niemals überquert worden war. Nach anstrengenden 36 Stunden schaffte Shackleton es, die bewohnte Nordküste der Insel zu erreichen und Hilfe für die zurückgelassene Mannschaft auf Elephant Island in der Walfangstation zu holen.



Stromness wurde von 1913 bis 1931 als Walfangbasis betrieben. Nachdem das grosse Schlachten der Wale hier nicht mehr rentabel war, kamen die Seebären dran. Als auch damit kein Profit mehr zu machen war, wurde die Walfangstation 1931 zu einer Schiffsreparaturwerft umgewandelt. 1961 wurde der Ort dann ganz verlassen und in den Jahrzehnten nach der Schliessung verfiel er langsam. Die grossen Tanks, in denen einst Wal-Tran und Tran aufgefangen wurde, stehen als eine Art Mahnmal der Geschichte: von vielen Gebäuden sind nur noch Ruinen übrig, die als einsturzgefährdet und asbestverseucht gelten. Die ehemalige Station ist abgesperrt und darf deswegen von Touristen nicht betreten werden - die Seebären stören sich an diesem Verbot nicht und haben sich das Gebiet wieder zurückgeholt. Irgendwie ein makabres Bild dieser Geisterstadt!

Nachdem die Hanseatic ihren Anker vor der Station geworfen hat, geht es mit den Zodiacs an Land. Bei einem schönen Spaziergang gehen wir in das hinter der Station gelegene Tal zu dem Wasserfall, von dem aus Shackleton vor nunmehr fast 100 Jahren mit seinen beiden Kameraden den letzten Teil des Weges in diese Station ging. Unterwegs sehen wir Eselspinguine und auch Küstenseeschwalben. Gegen 13:30 Uhr sind alle zurück an Bord und MS Hanseatic nimmt wieder Fahrt auf.



Grytviken
Am frühen Nachmittag erreichen wir die Cumberland Bay und MS Hanseatic ankert vor der alten Walverarbeitungsstation Grytviken. Ein Besuch der «Hauptstadt» Südgeorgiens steht auf dem Programm.


Bevor wir an Land gehen, hören wir einen Vortrag von Lucie Herschel, die von der King Edward Point Foundation zu uns an Bord gekommen ist und uns ein besonderes Naturschutzprogramm der Insel vorstellt: in einer umfangreichen Aktion wurden die vor gut 100 Jahren von Menschen eingeschleppten Ratten in den letzten Jahren ausgerottet und die Bedrohung für die einheimische Vogelwelt – fast ausschliesslich Bodenbrüter – konnte somit gebannt werden! Mit einer Spende hat man die Möglichkeit Land auf Südgeorgien zu «erwerben»: ich bin nun stolzer Grundbesitzer und hoffe, mein Stück Land an diesem, für mich sehr faszinierenden Fleckchen Erde, wieder einmal besuchen zu können – einen Bauantrag werde ich hier wohl aber eher nicht stellen. 😉



Gegen 15:30 Uhr geht es mit den Zodiacs an Land. Unsere Anlandestelle liegt etwas unterhalb des kleinen Friedhofs von Grytviken. Der Friedhof ist mit einem weißen Holzzaun eingefasst und mit seinen weissen Gräbern schon vom Schiff aus zu sehen.

Der Polarforscher Sir Ernest Shackleton starb 1922 an Bord der «Quest» an Herzversagen in der Bucht von Grytviken und fand, auf Wunsch seiner Frau, hier auf dem Friedhof seine letzte Ruhestätte. Wir versammeln uns alle an Shackleton’s Grab und lauschen der kurzen Rede, die Carsten Gerke, unser Kapitän, auf den bedeutenden Expeditionsleiter hält: seine Leute nannten ihn stets vertrauensvoll nur den «Boss» - wir erheben unser Glas und trinken einen Schnaps auf ihn und seine Forschungsreisen!



Vorbei an Robben, See-Elefanten, Walknochen und den Verarbeitungsanlagen der Station gehen wir zur Kirche und dem Museum von Grytviken. Die kleine weiße Holzkirche wurde 1913 aus dem norwegischen Ort Strømmen in Einzelteilen hierher transportiert. Um 18:00 Uhr spielt unser Bord Pianist Uwe Künstler dort: emotional berührt hören wir an diesem sehr besonderen Ort ein bezauberndes Konzert und stimmen zum Schluss ein paar Weihnachtslieder an.





Wir gehen weiter zum Museum, das im früheren Verwaltungsgebäude der Walfangstation, im Jahr 1991 eingerichtet wurde. Im «South Georgia Museum» finden wir Exponate aus Grytviken und von anderen Walverarbeitungsstationen Südgeorgiens. Die Arbeit und das Leben der Menschen in dieser Station ist auf zahlreichen Fotos zu sehen.

Das Wetter hat sich im Laufe des Nachmittags wieder einmal rasch verändert: aus dem anfänglichen Sonnenschein wurde Schneeregen, es ist düster und sehr ungemütlich... Das veränderte, graue Wetter passt irgendwie zu unserer Gemütslage und zu dem, was wir hier sehen!
Der norwegische Kapitän und Antarktisfahrer Carl Anton Larsen hat die Walverarbeitungsstation Grytviken, den besten Naturhafen der Insel, 1904 gegründet. Der norwegische Name Grytviken - norwegisch: gryte = Topf, Kessel; vik = Bucht - bezieht sich auf die Töpfe, die die Robbenfänger zum Trankochen benutzt hatten, und die man dort verlassen vorfand. Die von Larsen errichtete Station Grytviken, anfangs mit Saisonarbeitern aus Norwegen, später auch aus Südamerika, von den Falklandinseln und aus Grossbritannien, war von Anfang an ein wirtschaftlicher Erfolg: bereits im ersten Jahr wurden, mit nur einem Walfangschiff im Einsatz, fast 200 Wale erlegt.
Anfangs wurden vor der unmittelbaren Küste Südgeorgiens «nur» Buckelwale gejagt, später wurde das Fanggebiet bis auf 300 Kilometer vor der Küste ausgedehnt und es wurden Wale jeder Art gejagt. Im Jahr 1912 sollen bereits 62 Fangboote im Einsatz gewesen und über 10.000 Wale jährlich getötet und verarbeitet worden sein.
Anders als in Stromnes, ging es mit dem europäischen Walfang in Grytviken weiter bis 1962. Im Jahr darauf wurde die Anlage an eine japanische Gesellschaft verpachtet, die sie für weitere zwei Jahre nutzte. 1965 endete die Walverarbeitung in Grytviken dann endgültig: Walfang war nicht mehr rentabel, denn es gab kaum noch Tiere!
In Grytviken sollen in den 60 Jahren insgesamt über 54.000, in allen Stationen Südgeorgiens zusammen mehr als 175.000, in der gesamten Antarktis mehr als 1.4 Millionen Wale getötet und verarbeitet worden sein! Man spricht von zusätzlich 50.000 Robben pro Jahr…
Wie blutig das Abschlachten der Wale gewesen sein muss, möchte man sich gar nicht vorstellen und dass Japan noch immer Walfang betreibt, ist unvorstellbar!
Ob sich die Bestände der Wale von den einstigen Massakern jemals erholen werden, ist fraglich!

Sehr nachdenklich und betrübt von dem, was wir hier und in Stromness gesehen haben, verlassen wir die Museumsräume.
In dem kleinen Souvenirshop kaufen wir T-Shirts und Cappies, die uns an diesen sehr speziellen Besuch erinnern sollen. Ausserdem kaufen wir ein paar Postkarten, die wir voller Enthusiamus direkt schreiben und «nach Hause» schicken.


Das schnell wechselnde Wetter - vom strahlenden Sonnenschein zu Schneegraupel innerhalb weniger Minuten - spiegelt in einer gewissen Art und Weise meinen Gemütszustand: gerade noch voller Freude und Enthusiamus beim Anblick der Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum und ein paar Minuten später «trübe Stimmung» für das, was wir Menschen diesen unschuldigen Kreaturen angetan haben... und noch immer tun!
Mittlerweile hat wildes Schneetreiben eingesetzt und einmal mehr zeigt uns das sehr schnell wechselnde Wetter, das wir hier nur eine kleine Nebenrolle spielen. Gegen 19:00 Uhr sind wir zurück an Bord und MS Hanseatic nimmt Kurs auf die Antarktis.

Nach dem Abendessen treffen wir uns zu einer Informationsveranstaltung von Kapitän Carsten Gerke. Er erläutert uns die derzeitige Wettersituation und zeigt uns, warum ein schneller frühzeitiger Abschied von Südgeorgien nötig ist: die Wetter-Karten, die bei seinen Erklärungen zum Einsatz kommen, sind sehr farbenfroh! «Viel Farbe» bedeutet «hier unten» leider nichts Gutes: ein Orkan kommt auf die Inselgruppe zu, so dass das Routing umgeplant und dem Wetter angepasst wurde… Kapitän Gerke stellt uns die neuen Pläne für die kommenden Tage vor: wir nutzen die Zeit und machen einen Umweg über die Südorkneyinseln!
Wir freuen uns auf den nächsten Abschnitt unserer Reise – und sind gespannt, wann unsere, an uns selbst adressierte Postkarte aus Grytviken in der Schweiz ankommen wird.